ICH & SELBST – was ist der Unterschied?
Wenn man Menschen fragt, wer sie sind, nennen sie meist ihren Namen, gefolgt von ihrem Beruf, Alter, Geschlecht, Erfahrung, Biographie usw. Was ist aber das SEIN, die Essenz der Existenz? Und in welchem Verhältnis steht das Ich dazu, welches ein jeder von uns bewohnt, welches das SEIN sozusagen personifiziert?
Diese Fragen sind erheblich, denn immer, wenn wir “Ich” sagen, sollte uns klar sein, was wir darunter verstehen.
Das ICH verhält sich zum SEIN wie das JETZT zur Zeit.
Die Zeit bildet den Rahmen dessen, was ein JETZT erst ermöglicht. Einen stabilen Gegenwartspunkt gibt es gar nicht. Es gibt eine wahrnehmende Präsenz, in welcher sichtbar wird, was JETZT ist. Das ist es, was das Ich erlebt und speichert.
Das ICH speist sich also aus allen Einflüssen der Erfahrung, aus der Summe der dabei erlebten Emotionen und aus biologischen, karmischen und kollektiven Bedingungen sowie aus Erwartungen und Hoffnungen, die sich daraus ergeben. Es bündelt also eine unüberschaubare Menge an Faktoren im JETZT. Allerdings ist es nur eine Brennlinse ohne eigene Substanz. Es ist nicht nur Zugang zur Welt, es lässt die Welt erst entstehen. Ohne Ich gäbe es keine Welt, so wie es ohne Ohr kein Geräusch gäbe. Das ICH existiert als Abbild, als Fokus und als Projektor. Das ICH ist das Werkzeug des SELBST, diejenige seelische Emanation, die das eigentliche Organ Gottes ist und Gott damit sozusagen individualisiert.
Verliert das „Werkzeug“ ICH das Bewusstsein seiner Werkzeug- Natur, entsteht das abgespaltene Ego. Durch diese Desintegration, diese Abspaltung, entsteht Angst. Statt aber sich wieder anzubinden, versucht das Ego in seiner Fähigkeit als Weltgestalter wieder Unsterblichkeit zu erlangen. Deshalb strebt es unbewusst die Selbstvernichtung an, da es weiß, dass es nur in der Überschreitung oder Transzendierung der physischen Existenz sich seiner wahren Natur vergewissern kann. Gleichzeitig verliert es im Laufe seiner Abspaltung seine Fähigkeit, wirklich in Beziehung zu treten oder zu bleiben. Es beginnt eine Welt der Beziehungslosigkeit zu erschaffen in Form von abstrakten Begriffen, eine Welt der Zahlen und Berechnungen, der Einheiten, Gesetze und Verordnungen, der Regeln, der unpersönlichen Verwertung des Individuums, der Entfremdung der Kommunikation, und eine unpersönliche Lebenswirklichkeit des Funktionierens nach ökonomischen Kriterien.
In fortgeschrittenem Stadium weiß das ICH nicht mehr was Liebe ist (nämlich echtes Bezogensein) weil es nur auf sich selbst ausgerichtet sein kann. Dann wird die Aussen- und Mitwelt nach und nach in die eigenen Dienste gestellt: gearbeitet wird nicht mehr aus Liebe, sondern zum Erwerb von Geld, welches selbst ausschließlich Ausdruck des Ego- Ichs ist. Freundschaften und Familie sollen die Existenz des Ego-Ichs rechtfertigen und lebenswert machen. Umwelt und Natur werden als tote Materie zum freien Verbrauch angesehen und nach Belieben umgestaltet.
Das von ganzen isolierte Ego- ich kann mit Heiligkeit nichts anfangen. Was ist das Heilige? Es ist das Wissen um die göttliche All- Durchdringung der Welt und der Umgang damit. Durch die Leugnung dessen wird die Welt entheiligt und der Kontakt und die Anbindung an die göttliche Lenkung blockiert. Das kann die Wachstumsaufgabe des Selbst zeitweise erschweren. Das Faktenwissen des Ego- Ich blockiert mögliche Weisheit, die intuitiv das Förderliche erkennt, weil es Einzelphänomene aus dem Gesamtzusammenhang herauslöst und isoliert davon nur begrenzt und unvollständig verstehen kann.
Ein weiteres Problem des Ego- Ich ist sein Glaube an seine Sterblichkeit. Das Ego ist tatsächlich der einzig sterbliche Teil; die Person stirbt. In seiner Identifikation aber beschränkt es in seiner Vorstellung die eigene Existenz nur darauf. Es ist gezwungen, alle Projektionen- also alle Vorstellungen von dem, was es vom Dasein zu erwarten hat, auf das gegenwärtige Leben zu konzentrieren. Das verdunkelt natürlich die wirkliche Lebensaufgabe.
„Ich denke, also bin ich“ ist das Selbstverständnis des isolierten Ego- Ichs. Das SEIN, ausgehend und basierend auf Seelenebene, wird abgespalten und letzen Endes geleugnet. Dieses Ego- Ich ist eine Panzerung, die kaum mehr etwas in die Seelentiefe durchdringen lässt. Es hat sich Zeit zum Feind gemacht. Es ist immer vollständig auf sich selbst bezogen.
Daher braucht es das DRAMA; das Drama simuliert Wichtigkeit und Bedeutung. Im Drama scheinen Opfergefühle oder Selbstlosigkeit echt zu sein. „Ich leide, also bin ich“. Daher muss das EGO das Böse auch immer außerhalb von sich selbst suchen.
Das Ego- Ich benutzt Zeit zur Begründung seiner Existenz und Kontinuität. Zur Veranschaulichung: man stelle sich vor, jede Fähigkeit zur Erinnerung verloren zu haben. Alles Bewusstsein, alles Selbstbewusstsein würde sich dann ausschließlich aus dem gegenwärtigen Moment heraus speisen. Jeder vergleichende Bezug auf bereits erfahrenes, also vergangenes, wäre unmöglich. Damit würde alles rational- abstrahierende Denken enden: „ich bin, also bin ich“. Das wäre reine Wirklichkeit, in der das Ego- Ich keine Form fände.
Was bedeutet das? Es bedeutet im Umkehrschluss, dass die Form, also die Identität des Ego- Ichs, ebenso wenig Wirklichkeit besitzt wie die Vergangenheit! Das, was ich als meine Persönlichkeit bezeichne, ist ebenso stabil und real wie die Vergangenheit. Das Ego-Ich besitzt also jederzeit nur die Festigkeit, die ich ihm selbst verleihe.
Wenn ich Angst an ihre Wurzel zurückverfolge gelange ich immer zur Todesangst. Das ist eine scheinbar undurchdringliche Mauer. Unser Selbst gleitet da mühelos hindurch, das Ego muss draußen bleiben. Der Ego-lose Mensch ist automatisch der angstfreie Mensch.
Wer bin ich also?
Ich bin. Ich bin sowohl Ausdruck als auch wahrnehmendes Organ des einzigen universellen Bewusstseins. Über die Abgrenzung, also die Identifikation, gelingt es diesem Bewusstsein durch mich seiner selbst gewahr zu werden. Mit den Begriffen der Quantenphysik, wenn man sie sich denn hierzu leihen darf, könnte man sagen: die Unendlichkeit des Seins kollabiert im Ich und im Jetzt in seine Räumlichkeit und Zeitlichkeit.
Der Trick dieser Täuschung führt zu dem, was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, in der wir uns wiederfinden.
„Erkenne dich Selbst!“ Dann erkenne ich, dass ich mich in der Welt nur selbst sehe. Der “schamanische Tod” ist der Wegfall der Illusion, der Brille des Ego- Ichs, die ja meine Weltsicht verursacht. Meine Freiheit liegt dann in der Möglichkeit, dieses Ego nicht mehr zwischen reinen Sein und meiner Wahrnehmung zwischen zu schalten. Daraus entsteht eine völlige Konfliktfreiheit, ein innerer Friede, den ich dann auch durch mein ICH in die Welt einbringen kann.