Der freie Wille – Grundwahrheit oder Illusion?
„Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“ – G.W.F. Hegel
Haben wir einen Willen, der “frei” ist? Kann ich mein Wollen wollen? Oder ist er durchweg von unbewussten Einflüssen und unbekannten Kräften bestimmt, hinter die ich nicht zurücktreten kann? Ist Freiheit gleich Unabhängigkeit von diesen Kräften? Oder befinden wir uns bei dieser Fragestellung in einem Kabinett der Widersprüche?
Kurze Antwort:
Der Wille ist frei, wenn man ihn aus dem Blickwinkel des Umstandes sieht, dass in der Potentialität (dem “Meer der Möglichkeiten”, der Vollständigkeit des Kosmos) alles simultan existiert. Damit sind alle Möglichkeiten vorhanden: sie sind quasi präexistent. Der Wille ist andererseits determiniert, wenn klar erkennt wird, dass Geschehen immer aufeinander bezogen ist und damit eine Durchgängigkeit der Erfahrung erst möglich wird. In dieser Betrachtungsweise folgt eine Wirkung zwangsläufig auf eine Ursache. Wille ist immer frei, denn er ist Ausdruck dessen, dass alles möglich ist.
Wir können entscheiden,in den Fluss zu springen, doch einmal im Wasser, bestimmt der Fluss, was geschieht.
Ausführliche Antwort:
Die Frage nach der Freiheit des Willens erscheint auf den ersten Blick immer als „entweder- oder“ Option. Wie ich aber nun darzustellen versuchen werde, ist das Bild von Tag und Nacht als sich ergänzende Zustände oder Qualitäten desselben 24- Stunden- Tages das Geeignetere. Beides, Tag und Nacht sind Phänomene, die sich zwar gleichzeitig ausschließen, wenn es um einen Ort geht, aber auch gemeinsam existieren, wenn es um einen bestimmtes Ereignis (das Ereignis “planet Erde”) geht. Zuerst aber müssen wir uns mit den Prämissen, also den Grundannahmen befassen, die nötig sind, um zu dem Thema sinnvolle Aussagen machen zu können. Beginnen wir also.
Die duale Wirklichkeit
Ich gehe in meinem Modell davon aus, dass der Mensch als wahrnehmendes Wesen in dieser Welt gleichsam ihr Sinnesorgan ist. So wie ein Ohr Luftschwingungen als Schallwellen wahrnimmt und in elektrische Impulse transformieren und ein Gehirn diese in akustische Phänomene „übersetzen“ kann, so kann der Mensch Sein (erlebbare Existenz) in Bewusst(es)-sein „übersetzen“. Er ist der Spiegel, in welchem sich die Schöpfung selbst erkennt. Durch die individuelle Ausprägung des Bewusstseins im Einzelnen steht jedes Individuum subjektiv im Mittelpunkt: es gibt mich und es gibt die Außenwelt. Diese Wahrnehmung ist natürlich bei genauem Hinsehen eine Illusion, weil es keine Außenwelt gibt ohne eine Wahrnehmung, die wir unserer Innenwelt zurechnen. Genauso, wie es kein Geräusch gibt, wenn niemand da ist, es zu hören – denn ohne einen Hörer ist das Geräusch lediglich eine Luftschwingung, die aber ihrerseits erst in Reaktion und Relation zu einer Umwelt existiert. Es gibt auch keine Innenwelt, die isoliert von einer (irgendwie gearteten) Außenwelt existieren kann. „Ich“ gibt es eben nur „in“ irgendetwas, also in Bezug auf eine Umwelt. Dieser Bezug bildet die Einheit aus „Innen“ und „Außen“, eine Subjekt- Objekt- Beziehung.
Damit ist in groben Zügen dargestellt, dass Wahrnehmung immer der Dualität bedarf. Alan Watts nennt das das „On-Off- Prinzip“, nachdem es entweder einen Reiz gibt oder eben nicht. Jede Zelle, jeder energetische Vorgang funktioniert so. Das ist die Grundlage aller Welt, die uns zugänglich ist.
Freiheit und Determiniertheit sind subjektiv geprägte Erscheinungen ein und derselben Wirklichkeit, unterschiedliche Perspektiven derselben Sache.
In unserem subjektiven Ich- Bezug erleben wir die Hoheit eines scheinbar unabhängigen inneren „Ich“, welches die ihn umgebende Welt scheinbar „von außen“ beobachtet und selbst davon unabhängig Entscheidungen zu treffen scheint. Dieses Ich interpretiert und interagiert auf der Grundlage seiner selbst empfundenen Rationalität. Mit dieser „Simulation“, dieser Illusion wird eine Welt als gegenständlich wahrnehmbare erst möglich. Sie ist ein „Anwender- Programm“, welches einen reflexiven Erfahrungszugang zur Welt ermöglicht. Der Ich- Bezug erzeugt erst das, was wir als Wirklichkeit deuten. Diese „Benutzeroberfläche“ dürfen wir natürlich nicht für die Wirklichkeit selbst halten, denn sie ist ein Konstrukt unserer speziellen perzeptiven Wahrnehmungsfähigkeit, welche eine bestimmte Auslegung und Interpretation ermöglicht. Die Wirklichkeit selbst ist holistisch, also ganzheitlich. Sie ist notwendigerweise nicht getrennt und nicht dual. Für den Vogel in der Luft oder den Fisch im Wasser ist die Wahrnehmung seines jeweiligen Elements nicht von seinem Selbstgefühl getrennt.
Wenn mir klar ist, dass ohne ein Auge kein Licht existiert und ohne Ohr kein Geräusch, wird ersichtlich, dass die sogenannte Umwelt erst in meiner Wahrnehmung Existenz bekommt. Nicht ich bin in der Welt, sondern die Welt ist in mir. “Ich” befinde mich eben nicht “hinter” meinen Augen! Mein Gehirn ist damit Teil der Außenwelt! Was ist die Konsequenz, die wir ziehen müssen? Ich selbst bin Teil des ganzen Prozesses, ohne den es diesen selbst Prozess nicht gäbe. Wie aber geht dieser Prozess vonstatten?
Die Wirklichkeitserzeugung
Wie die Quantenphysik eindrucksvoll zeigt, entsteht der gegenwärtige Moment, also das Jetzt, fortlaufend nach Kriterien der Wahrscheinlichkeit. Ein Zustand, der in sich kohärent ist, erzeugt mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit einen Zustand, der dem vorangegangenen ähnelt. Deshalb ist die Welt scheinbar stabil. Ähnlich einem Film vom Speichermedium, der fortlaufend Bilder erzeugt, die den Eindruck von Kontinuität vermitteln, erschafft sich die Welt jeden Moment entsprechend der Informationen – beispielsweise auf einer DVD – neu .
Die Wirklichkeit folgt also ständig einem „schöpferischen“ sich ereignen. Dabei wirkt das (menschliche) Bewusstsein allerdings steuernd auf diesen Fluss ein.
Was lenkt aber das Bewusstsein? Dem Bewusstsein liegt eine bestimmte Haltung zugrunde, eine Ausrichtung, wenn es schöpferisch bzw. kreativ ist. Diese Haltung ist die eigentliche und einzige Wahl. Sie ist gleichzeitig die Erste und bedeutendste Abspaltung des einen Ganzen, die stattgefunden hat. Es ist die erste Ausprägung des dualen Prinzips: die Aufspaltung in Liebe oder Angst. Liebe ist das vom Ich abgewandte Bezogensein und Eingebundensein in Alles. Angst ist hingegen die Konzentration und Kontraktion auf das scheinbar isolierte Ich und dessen Vergänglichkeit. Diese beiden Qualitäten können wir als als geistige Blaupause annehmen, auf deren Grundlage alle weiteren Differenzierungen stattfinden.
Aus dieser Ausrichtung heraus erfolgt alles Weitere. Man könnte das Bewusstsein, das „Alles-was-Ist“, mit einem Baum vergleichen, der in seinem Anfang EIN Stamm ist. Die erste Verzweigung des Stammes ist die Aufspaltung in Liebe und Angst. Das „Alles-was-Ist“ bedient sich dieser Spaltung zur Erschaffung der Welt: der „Baum“ wird dadurch erst zum „Baum“. Seither begann ein Prozess, der nicht mit unserem kausalen Prinzip von Ursache und Wirkung erklärt werden kann.
Um zu verdeutlichen, dass unsere spezielle Art der Wirklichkeitswahrnehmung unvollständig ist und nur innerhalb ihrer eigenen Konzepte arbeiten kann, stelle man sich das Weltall als „geschlossen“ vor: „In“ was befindet sich das All, wenn es selbst doch alles umschließt? Aus „was“ ist es selbst hervorgegangen oder „in“ was hat es sich ausgedehnt? Sinn dieser Überlegung ist der Versuch, sich ein Ereignen aus sich selbst heraus vorzustellen. Wir könnten sagen, dass das schöpferische Bewusstsein (“Gott”) selbst Prozess wurde. Aus Potentialität wurde (und wird) Realität.
Dazu muss gesagt werden, dass „Potentialität“ ausnahmslos alle Möglichkeiten mit einschließt. Alles, was denkbar ist, existiert in diesem „Raum der Ideen“, der noch nicht in Erscheinung getretenen Wirklichkeit. Das widerspricht natürlich unserer Alltagswirklichkeit diametral. Entweder ist etwas, oder eben nicht! Die Vorstellung, etwas Neues zu entdecken oder zu erfinden, scheint zu überzeugend zu sein. Tatsächlich aber kann es nichts Neues geben, sondern es kann lediglich in Erscheinung treten. Ein Beispiel: Man kann keine „neuen“ Töne oder Farben erschaffen. Die jeweiligen Spektren existieren bereits vollständig und werden von uns lediglich entdeckt. Erschaffen ist in Wahrheit entdecken. In der gleichen Weise, wie die Summe aller Energie im Universum immer schon existiert hat und lediglich ihren Zustand ändert, existiert auch jede Information. Die Menge der Möglichkeiten – also verknüpfbarer Informationen, die zu Realität gerinnen können – ist unendlich. In diesem Zusammenhang wird auch die Natur des RAUMES etwas deutlicher, denn Raum ist gleich Möglichkeit.
Dieser schöpferische Selbstwerdungs – Prozess kann kein Ziel haben – eine Vorstellung, die eine echte Herausforderung für unseren Geist ist. Warum kann man das behaupten? Ziele sind immer und naturgemäß an Dingen, Ideen oder Vorstellungen orientiert, die bereits existieren. Nichts ist neu, es knüpft immer an etwas an, was bereits existiert. Beim schöpferischen Prozess steht das Erschaffen im Zentrum, während Existenz zum Produkt wird.
Der Begriff “Existenz” bedeutet wörtlich “aus sich herausstellen”. Bewusstsein stellt etwas aus sich selbst heraus, trennt sich scheinbar davon, um überhaupt sich sebst wahrnehmen zu können.
Existenz ist die „Spur“ des Schöpfungsprozesses. “Gott” ist Wirkung und Ursache zugleich. Es gibt keine Bestimmung, weil es keinen „Bestimmer“ geben kann. Der “Bestimmer” muss ja selbst Bedingungen unterliegen, die ihn beziehungsweise seine Intentionen, Motive und Handlungen bestimmen. Deshalb kann die “Ur”- Ursache nur als Summe aller Möglichkeiten überhaupt angenommen werden, welche aber noch unbestimmt und formlos sind. Dort gibt es keine Ursache und keine Wirkung.
Kausalität existiert also nur scheinbar; alles steht in Relation und in Bezug zueinander. Ich gebe zu, dass der Verstand hier gerne rebellieren möchte. Ich habe mir lange erlaubt, die “Ursachenlosigkeit” in mir als Vorstellung wirken zu lassen.
Der eine Pol bedingt seinen Gegenpol. Keiner davon ist alleine „wahr“ oder gültig. Ebenso wenig sind wir frei oder bestimmt. Unser Empfinden von Freiheit ist unserer Fähigkeit geschuldet, Vergangenheit zu erinnern und Zukunft vorwegzunehmen. In diesem Vergleich der Gegenwart mit anderen (fiktiven) Zeitpunkten entsteht unser Begriff von Zeit, der in logischer Folge die Frage nach der Freiheit mit sich bringt. Wir gestehen selbst höheren Tieren keinen freien Willen zu, weil ihnen eben diese Fähigkeit fehlt. Sie scheinen fast ausnahmslos in der Gegenwart zu leben. Sie agieren völlig im Jetzt und folgen dabei einem Antrieb, den wir „Instinkt“ nennen. Welchem Instinkt folgt die Pflanze, wenn sie wächst und blüht? Welchen Kräften folgt das, was wir Naturgesetze nennen? In der Natur gibt es keinen “freien Willen”. Alles dort ist ein einziges Geschehen, dessen Ursachen im Unendlichen liegen. In Wirklichkeit ist das unser „Event Horizon“, der Endpunkt unserer Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeit bzw. unseres gedachten Konstrukts. Der Freie Wille ist die “Brille”, die dem Bewusstsein erlaubt, sich selbst wahrzunehmen. Es ist die Fähigkeit zum “Nein”, die sich aus dem Geschehen scheinbar herausnehmen kann und es els von sich selbst getrennt erfahren kann.
Diese kosmisch formenden Kräfte, die evolutiv erschaffenden, die Instinkte und auch unser Ursache- Wirkungs- Konzept sind Phänomene dessen, was man „Tao“ nennen kann: Das „sich-ereignen“ der Welt. Der Anfangs- und Endpunkt (das „Alpha und Omega Gottes“) ist nur eine einzige Emanation, eine einzige Daseinswirklichkeit. Diese Wirklichkeit selbst kann allerdings nichts anderes sein als sie selbst, da sie alles ist. Und nun das Wichtigste: Sie muss sich aus diesem Grunde „maskieren“, um überhaupt Unterschiedlichkeit und Differenziertheit herausbilden zu können. Denn wo ALLES existiert, ist keine Erfahrung möglich. Die wird erst durch das “Andere”, also durch Unterscheidung möglich. Doch in ihrem Wesen bleibt sie dieselbe. Nur um Veränderung, also Schöpfung, sein bzw. werden zu können und damit die Vorstellung und Realität eines „davor“ und „danach“ oder eines „frei“ oder „unfrei“ erzeugen zu können, muss sie ihre eigentliche Natur als Singularität „verlassen“. Das kann sie natürlich nicht wirklich, weshalb sie es “simulieren” muss. Deshalb fühlen wir uns als Individuen IN einer Welt.
Der Prozess hat Chaos- Charakter: alles was möglich ist, wird möglich, weil die Zahl der Möglichkeiten unendlich ist. Ein Dschungel des Seins, des Lebens muss entstehen: Form entsteht, Materie entsteht und schließlich auch dort – wie zuvor im Geistigen – Leben (verstanden als zur Umwelt abgegrenzte Emanation bzw. Bewusstseinsträger- Einheit mit klar definierten Eigenschaften). “Entstehen” ist nicht das richtige Wort, da nichts wirklich neu entsteht. Es ist eher ein Hervortreten aus dem “Meer der Möglichkeiten” (Nils Bohr, Quantenphysiker).
An einem bestimmten Punkt dieses Schöpfungsprozesses taucht eine Bewusstseinsqualität auf, die in der Lage ist, diesen Prozess (also sich selbst) hinter sich und um sich und in sich zu bemerken, wahrzunehmen. Auch dazu war, wie bereits angedeutet, eine Loslösung nötig: das wahrnehmende Bewusstsein musste erneut differenzieren, sich aus dem Ganzen scheinbar herauslösen, um die Position eines „Beobachters“, eines „Hier“ und „Dort“ überhaupt zu ermöglichen.
Der Preis dieser überragenden Wahrnehmungsfähigkeit ist das Gefühl des Getrennt – seins. Es ist die Begrenzung des all- umfänglichen Sehens. Im biblischen Sündenfall finden wir metaphorisch die Beschreibung dessen, was als „Erkennen von Gut und Böse“ bezeichnet wird: das Entstehen der Dualität. Damit entstand auch das Leid infolge des Herausgelöst – seins und des scheinbaren Abgespalten – seins aus dem Prozess selbst. Die Fahigkeit zum Nein- Sagen ist die Ursache des Leides: Die Welt solte anders sein- ein Wille ist da, der in Wirklichkeit machtlos ist. Die Dialektik der sich ständig erweiternden Wirklichkeit war entstanden, sie bedingt sich selbst: sie selbst ist Ursache und Wirkung. „Gut und Böse“ als Metapher der nun begonnenen Zweiheit, die nach Auflösung strebt und dabei Neues erschafft.
Das Bewusstsein „ahnt“ diesen Schöpferprozess und nennt ihn FREIHEIT. Es beobachtet das eigene Tun und kann es scheinbar kausal herleiten: es erkennt Motive, Reaktionen, also das „Warum“ und erlebt sich in der Folge als frei. Die Installation eines „Interpretors“ im Kopf war eine unumgängliche Maßnahme und Notwendigkeit dieser Erfahrung. Menschliches Handeln ist daher auch immer eine Abkoppelung. Der Mensch wirkt daher auch immer der Natur gegenübergestellt: seine Produkte sind „künstlich“, denn er ist ein Kulturwesen im Gegensatz zu denen der Natur, die „natürlich“ sind. Diese Spaltung selbst erzeugt stets neue Wahrnehmungshorizonte und Wirklichkeiten. Wir erschaffen neue Begriffsinhalte. „Lärm“ ist ein Beispiel dafür: wir sind Ursache und Wirkung von uns selbst. Der Mensch fühlt sich frei und doch den Folgen seines Handelns ausgeliefert, zumindest aber determiniert. „Sachzwänge“ existieren durch ihre Zuschreibung als Solche.
Jede Entscheidung basiert also auf Gegebenheiten, die bereits feststehen; niemals entscheide ich mich für eine schlechtere Option! Alle Entscheidungen, die ich morgen treffen werde, werden dann existieren,und das Gefühl, entscheiden zu können, ist rein subjektiv.
Wenn ich bemerke, dass mein Inneres sich vollständig meiner Kontrolle entzieht, wird das deutlich: Keine meiner körperlichen Vorgänge bedarf meiner bewussten Steuerung. Dasselbe geschieht Außen: Ich blicke auf eine Welt, die sich fortlaufend ereignet. Selbst meine Gedanken wollen keiner Steuerung gehorchen, und wenn ich mich auf etwas Spezielles konzentriere, kann ich nicht behaupten, dafür die Ursache zu sein, weil ich ja beobachten kann, dass ich mich zu etwas zwinge. Woher also stammt das Wollen?
Freiheit und Zeitwahrnehmung
Wir empfinden also den schmalen Korridor der Freiwilligkeit zwischen Innen- und Außenwelt als Freiheit. Das ist bei genauer Betrachtung fast armselig. Was also ist das Gefühl der Urheberschaft, die zur Annahme eines freien Willens führt? Unsere Wahrnehmung der Ereignisse als linearen Fluss deuten wir als Beweis für unsere Auslegung der Wirklichkeit als Prinzip von Ursache und Wirkung. Wir erkennen scheinbar Gründe und finden Erklärungen. Natürlich steht diese Perspektive auf wackeligen Beinen: denn jede Entscheidung hat ihrerseits Gründe, deren Vorbedingungen keineswegs „frei“ waren, geschweige denn bewusst in die Entscheidungsfindung Eingang fanden. Jede „Entscheidung“ resultiert aus einer Konstellation, der eine unendliche Anzahl an Bedingungen vorausgegangen ist, die wir niemals frei zu bestimmen waren (infiniter Regress). Wir müssen uns eingestehen: Das Ergebnis des Auswahlverfahrens – also die Entscheidung – steht von vornherein fest. Etwas trivial formuliert: Niemals entscheiden wir uns für die zweitbeste Option- und wenn ja, dann aus Gründen, die bereits in ihrer Bedingtheit existieren und auf die wir keinen Einfluss haben. Die Variablen sind endlos. Aus Versuchen im psychologischen Setting weiß man inzwischen gesichert, dass unser Verstand (also unser Bewusstsein, welches wir als „ich“ definieren) Erklärungen und Begründungen „nachliefert“, also rationell aufgearbeitete Werte, die mit der „Entscheidung“ korrelieren und das ohne unser Gewahrsein dessen.
In diesem Lichte kann Freiheit gar nicht als eigenständige und wirksame Größe gedacht werden, weil Freiheit in dieser Beschreibung sich auf eine Vorstellung beschränkt, die illusionären Charakter hat.
Demnach ist Freiheit eine emotionale Erfahrungsqualität, die ein Bewerten der Welt ermöglicht.
Das tierische Bewusstsein hingegen ist ganz in der Gegenwart. In Folge dessen beobachten wir dort nicht die Freiheit, die wir in unserer menschlichen Erfahrung erleben. Unsere neokortikalen Hirnregionen ermöglichen eine Zeitwahrnehmung, die die Welt und Geschehen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufteilt. Dieses „in der Zeit orientiert sein“ ermöglicht den Eindruck freiheitlichen Handelns, begründet auf den Bezugsrahmen des Woher und Wohin. Dabei ist die (eigene) Vergangenheit immer ein Produkt dessen, was vorher war und des Einzigen, was geschehen konnte. Niemals hat eine „freie“ Entscheidung im reinen Sinne unseres Verständnisses stattgefunden. Die Überlegung, es hätte in der Vergangenheit auch anders entschieden werden können, ist eine reine Abstraktionsleistung, eine Vorstellung. Eine freie Entscheidung wäre nur denkbar, wenn ich unter Einbeziehung aller relevanten Einflüsse hätte wählen und abwägen können, was wegen der buchstäblich endlosen Datenmenge ein unmöglicher Vorgang wäre. Ein ursachenloses Jetzt gibt es aber nicht.
In einer einfachen Übung wird mir das meditativ bewusst: im Moment der Gegenwart bin ich selbst die Summe einer sich ständig ändernden Ansammlung von Befindlichkeiten und mentalen Zuständen, die ich wiederum nicht beeinflussen kann. Selbst meine Reaktionen darauf steuere ich nicht frei, sondern stelle fest, dass auch sie geschehen; ICH finde statt.
Exkurs zu der Zeit
Zeit ist die Empfindung einer Bewegung durch das Geschehen. Sie ist ein Epiphänomen unserer Existenz. Allerdings hat sie keine eigene Substanz, denn vergangenes „gefriert“ nicht hinter uns. Ich kann nicht durch die Zeit reisen und mich damit evtl. zur selben Zeit am selben Ort befinden. Ereignisse folgen nicht aufeinander, weil sie einem imaginären Zeitfluss folgen würden, sondern weil sie geschehen: sie treten aus der Möglichkeit heraus in Erscheinung. Weder die Vergangenheit, noch die Zukunft existieren für ein individualisiertes Bewusstsein wirklich. Nur die Gegenwart ist für dieses eingeschränkte Bewusstsein real. Damit ist der jetzt – Moment alles, was tatsächlich existiert und es wird deutlich, dass wenn wir von Zeit sprechen, meist etwas meinen, was in Wirklichkeit nur als Abstraktion existiert. Mehr noch: jeder erzeugt diesen „Jetzt Moment“ aus dem „Meer der Möglichkeiten“ (dem unbestimmten Quantenzustand) andauern neu, so wie ein Geräusch erst im Kopf eines Hörers Realität wird – und je nach Interpretation eine voneinander unterschiedliche Realität. Jeder „Moment“ ist eine sich andauern erneuernde „Spitze“ aus dem Quantenfeld. Unsere (und alle) Existenz ist gleichzeitig die Existenz von Allem.
So wie der Raum das Feld der Möglichkeiten bildet und keine eigene Existenzqualität besitzt, verhält es sich auch mit der Zeit.
Bewusstsein und Geist
Der Gedanke ist der Fokus des unscharfen aber umfassenden Bewusstseins, der das Spezielle vom Ganzen abgrenzt und damit erfahrbar macht. Er vergleicht ununterbrochen das Geschehen mit Erlerntem. Dadurch kann er ein “Ich” erzeugen, welches relativ zur Welt zu existieren scheint. Der Gedanke ist geformtes Bewusstsein, InFORMation. Das berühmte Bibelwort aus Johannes “am Anfang war das Wort” könnte man dahingehend deuten: Der Anfang aller Dinge war “das Wort”, der formulierte Gedanke, der eine Sache ins Dasein bringt und sie damit scharf abgrenzt.
Eine von uns unabhängig existierende Wirklichkeit gibt es allerdings in reinem Sinne nicht, wie wir festgestellt haben. Die Existenz eines Bewusstseins ist notwendigerweise immer alles einschließend. Die Vergangenheit existiert an keinem Ort, wo Existenz antiquiert und eingelagert wurde. Die Vergangenheit existiert – ebenso wie die Gegenwart und die Zukunft – „jetzt“, wobei nur die Gegenwart als „Spitze“ aus allem, was ist, hervortritt. Wie oben bereits angedacht, kann innerhalb der Potentialität (oder Totalität) nichts Neues entstehen, da sie zwangsläufig alles in sich als Potential beherbergt. Gleichzeitig gibt es kein Außen, von dem her ein Zufluss von Neuem stattfinden könnte. Somit ist erlebte Wirklichkeit ein „Ausschnitt“, sichtbar gemacht durch den Fokus des Ich – Bewusstseins. So, wie eine bestimmte Welle ein bestimmter Ausdruck des Meeres ist und nur untrennbar vom dem Meer existieren kann und völlig davon bestimmt ist, ist der gegenwärtige Moment Ausdruck eines Gesamtzustandes des Kosmos, der seinerseits durch eine unendliche Zahl von Einflüssen völlig “bestimmt” ist.
Die simultane Existenz von Allem könnte mit einem feinen Lichtstrahl verglichen werden, der durch einen ansonsten völlig dunklen Raum wandert: dieser Raum ist die Potentialität, das “Alles- was – ist”, der Lichtstrahl kann immer nur einen bestimmten kleinen Ausschnitt davon beleuchten, “zutage treten lassen”. Da er wandert, scheint ein “Fluss der Ereignisse”, ein Zeitablauf, stattzufinden. Der Geist ist also die der Impuls oder die Bewegung des Bewusstseins durch die Potentialität. Er lässt sie konkret werden.
Wie wir sehen werden, negiert das aber nicht die Freiheit.
Die Freiheit in der Determiniertheit
Knapp unter der Oberfläche unseres Gewahrseins unserer Selbst regiert der Wille. Er ist die Begrenzung dessen, was wir erkennen können. Der individuelle Wille ist unfrei, denn seine Basis ist streng determiniert. Unsere Überzeugungen und Ängste und die Enge der Interpretation unserer Erfahrungen bilden den Rahmen, die Stoßrichtung und den Boden des Willens. Völliges Loslassen ist völliges Freilassen: erst, wenn ich nicht mehr gebunden bin an meine Ängste, Erwartungen usw. werde ich frei vom Diktat meines Willens. Also besteht Freiheit im Geschehen lassen einerseits und im Bewusstwerden des Willens andererseits? Die Täuschungen liegen im Irrtum über das, was ich wirklich bin, denn ich glaube mich unfrei, wo ich eigentlich frei bin. So verstricke ich mich in Ängsten und Vorstellungen, die Dinge könnten und sollten anders sein, was aber nicht der Fall sein kann, wie wir herausgearbeitet haben. Meine Verstrickungen sind in Wirklichkeit meine Überzeugungen aus den Erfahrungen der Vergangenheit, die aber nicht existiert. Damit wird Befreiung sofort möglich. Wollen aber bezieht sich aber immer auf einen Punkt in der Zukunft und die Gegenwart bleibt unberührt.
Das Phänomen „Wille“
Nun nähern wir uns einem gesünderen Freiheitsbegriff. Wo ein Wille ist, scheint es Freiheit zu geben: paradoxerweise aber nicht dort, wohin der Wille strebt, sondern in der Befreiung und Bewusstwerdung des Willens. Also müssen wir zunächst unsere Vorstellung des Willens renovieren. Der Wille kann sein „Woher“ nicht bestimmen, sein „Wohin“ anscheinend partiell schon. Fragen wir daher nicht „Warum?“, denn das Warum orientiert sich an der Vergangenheit. Besser fragen wir „Wozu?“ und sind damit eher am wandernden Fokus des schöpferischen Bewusstseins. Im „Wozu?“ wird sich sozusagen der Schöpfer seines Schaffens bewusst. Diese Frage kann das „Warum?“ nicht bedienen und verkommt damit zum Koan.
Wenn ein Blatt im Wind vom Baum herabfällt, dann ist sein Weg und sein Landepunkt „zufällig“. In Wahrheit beschreiben wir aber nur, dass sich uns die komplexen Dynamiken des Herabfallens unserer Voraussagefähigkeit entziehen. Es ist der „Wille“ derjenigen Kräfte, die das Herabfallen des Blattes bestimmen. Diese Kräfte selbst folgen präzisen Bedingungen, von denen keine „zufällig“ ist. Dasselbe geschieht innerhalb unseres Denkens. Es ist uns unmöglich, sämtliche dem Denken zugrunde liegenden Bedingungen, Erfahrungen und Konditionierungen sowie deren Wechselwirkungen zu erfassen oder zu verstehen. Und doch nennen wir das Ergebnis „unseren Willen“. Was also ist der Wille, wenn er nicht nur ein Gefühl von Autonomie und Selbstheit ist? Sicher, auch das kann als Letztgrund angesehen werden und ist eine legitime Definition des Willens.
Vielleicht aber müssen wir weitergehen. Der Wille ist in reinster Form Ursache überhaupt. Daher könnte angenommen werden, dass der Wille die Vorwärtsbewegung des schöpferischen Kosmos und all ihrer Teile ist. Dann wäre der Wille diejenige Kraft, welche vom Sein (Gott) gebildet wird, um „Welt“ zu erschaffen, sie möglich und erfahrbar zu machen und auszudehnen. Der Wille dient in isolierter Form sinnvoll dazu, das ICH von der Welt zu unterscheiden und zu separieren. Er veranlasst die Pflanze zum Wachstum, die Zelle zur Teilung, die Gestirne zur Gravitation. Wille ist inhärente Eigenschaft des Seins in materieller oder immaterieller Form. Er lässt Form und Gestalt werden; damit wird jeder Einzelne Träger des Gotteswillens. Jeder ist „Gottes“ Erfahrung in der Welt und trägt dazu bei, Möglichkeiten neuer Formgebung zu verwirklichen. Die Formel könnte lauten:
Wille ist geformtes Bewusstsein. Durch den Willen wird Bewusstsein zum ICH –
-und ist damit ausgerichtete Urkraft. Wille ist die Bewegung des Geistes durch die Potentialität. Der Geist ist die “Exekutive” des umfassenden Bewusstseinsfeldes.
Wir finden den zirkulären Prozess des Bewusstseinsaufsiegs prismenhaft überall: vom Säugling, der zunächst nur sensorisch existiert hin zum Kleinkind, das rezeptiv – sinnlich existiert zum bestenfalls reifen, erleuchteten Erwachsenen, der zuerst reflektiert später transzendiert existiert. Danach fällt er mit dem Tod in den Schlaf des Unbewussten (oder Überbewussten) zurück.
Das Pflanzenbewusstsein agiert in der Umwelt als ungetrennter Teil. Es ist rein geformtes Bewusstsein. Säugetiere zeigen bereits kreatives Verhalten, also formendes Bewusstsein. Konzentrisch erweitert sich das Bewusstsein von der Mitte, der erfahrungslosen Singularität aus, bis es sich seiner selbst gewahr wird und sich selbst erkennt. Bewusstsein müssen wir deuten als Ursubstanz, die alles durchdringt, aber erst in der Form erkennend wird. Dazu später aber mehr.
Wir erkennen den Willen somit als Kraft der Bewusstwerdung. Der Wille drängt vom Sog zur konturlosen Verschmelzung weg zum differenzierten Ausdruck des Seins. Er kann sich in einem Nicht-einverstanden-sein ausdrücken, wohinter die Erkenntnis-werdung sichtbar wird. Nun stellt er „sich“ in Relation zum „Anderen“: Können die gegebenen Vorbedingungen überschritten werden?
Hier ließe sich ein philosophisches Resümee ziehen: alles, was wir in der Welt vorfinden, sind wir selbst. Wir sehen uns selbst, wir sehen die Erfüllung und den Vollzug „Mensch“. Daraus können wir ethische Präferenzen ableiten: Mögen wir Zerstörung? Möchten wir Leid? Gefällt uns Isolation? Das Innehalten und die wertfreie Schau zeigt die Wirklichkeit. Und sie macht sichtbar, dass auch Anderes möglich ist. Dazu braucht es einen Willen, der angeschlossen ist eine innere Haltung wie oben angerissen: an Verbundenheit (Liebe) oder an Isolation bzw. Abspaltung (Angst). Diese Haltung ist der Nährboden, der metaphorisch gesprochen, Gestalt und Frucht der Pflanze bestimmt. Gegenwärtig sehen wir die Ergebnisse der Haltung „Angst“ auf der Welt. Die Lage könnte also nicht anders sein. Dazu haben wir nicht die Freiheit, denn der Nährboden ist derselbe, der es gestern war. Und doch können wir neu wählen und durch Bewusstwerdung die Haltung ändern, die in logischer Folge für einen neuen „Nährboden“ sorgen könnte.
Was ist „Ich“?
Freiheit und Determiniertheit sind Begriffe, die ohne wahrnehmendes Ich nicht möglich wären. Dabei ist das Ich vom Ego zu unterscheiden. Das Ich ist die individualisierte und spezielle Ausdrucksform des universellen Bewusstseins/Willens. Ich muss die formende Kraft des Ichs zulassen, um ganz ICH zu werden, denn das kleine, individuierte Ich ist Bild des großen Ich.
„Gott ist Liebe“ heißt es in der Bibel. Liebe ist die Kraft, die schöpferisch „nach oben“ treibt, die ganz sich selbst werden will. Liebe kann definiert werden als das Fehlen von Abstand, dem Zustand der Einigkeit. Wir verschmelzen mit dem geliebten Menschen,wir verschmelzen distanzfrei im “Flow” in dem wir tun, was wir lieben. Krieg kann ich nur gegen jemanden oder etwas führen, von dem ich mich getrennt fühle. Dem im Wege steht das Ego – Ich, welches sich gerne für das kosmische Ich hält. Es hält sich für eine sterbliche und abgetrennte Einheit, die andauernd bedroht ist. Das Ego steht quasi zwischen meinem wirklichen (biographisch – karmisch – seelisch geformten) Ich und der Welt. Damit macht es wirkliches Erkennen unmöglich. Allerdings kann auch das große Ganze (Gott) sich seiner nicht gewahr werden ohne ein „du“, ein individuiertes Ich. Die Entwicklung des Einzelnen entspricht analog der Entwicklung des Ganzen, des „Brahman“. Erfahrungen der Begrenztheit, des Scheiterns, der Zielsetzung und –Erreichung, des Irrtums oder des Hasses sind entscheidend für die Bewusstwerdung. Diese Erfahrungen machen Wirklichkeit konkret. Liebe braucht einen Hintergrund als Kontrast, der sie sichtbar macht: deshalb entsprechen alle Möglichkeiten und Formen, Liebe sichtbar (und real) werden zu lassen, dem schöpferischen Prozess. Dazu muss ICH sein, scheinbar ganz getrennt, ganz abgespalten, muss mich erfüllen um Vielfalt zu erschaffen. Danach falle ich zurück aus den Identifikationen und Verstrickungen und verlasse die Illusion; denn dahinter bin ich alles was Ist.
Was ist eine Entscheidung?
Unzweifelhaft ist die Sprache der Raum, in welchem unsere Erfahrungswelt konkret wird, aber der gleichzeitig auch deren Begrenzung ist. Wir können nichts denken, wofür wir keinen Begriff haben. Wir müssen uns eingestehen, dass unsere Sprache zwangsläufig die Wirklichkeit „menschlich“ darstellt, so wie die Kognitionen eines Hundes eine „Hundewelt“ abbilden, eine für uns vermutlich in wesentlichen Dingen verkürzte und unvollständige Welt. Bei der „Katzenwelt“ verhält es sich nicht anders, und wir müssen feststellen, dass eine Katzenwelt keine Hundewelt erklären kann. Wir können also mit Sicherheit davon ausgehen, dass die „Menschenwelt“ keine Abbilder der umfassenden „göttlichen“ umfassenden Realität zulassen kann. Das Bewusstsein des Hundes, der Katze und des Menschen sind spezifischer Ausdruck des formlosen, undefinierten Bewusstseins. An dieser Stelle können wir den Bewusstseinsbegriff weiter festmachen:
– Bewusstsein ist Schöpferbewusstsein
– Erschaffen ist Ausfaltung des Angelegten
– Planung ist reflektierte Schöpfung, erkanntes Ent-Wickeln
– Absicht ist erkannte Schöpfung/ Entwicklung
Das Gefühl, Entscheidungen zu treffen ist eine Illusion menschlicher Wahrnehmung. Die Vorstellung von Entweder/ Oder ist der stärkste Hinweis darauf: die Welt ist zwar nur dual erkennbar und organisiert, doch sind die polaren Gegensätze immer komplementär. Sie sind Teil derselben Wirklichkeit. So auch die Frage nach Freiheit vs. Determiniertheit: die Bedingungen, welche uns bestimmen, werden erst sichtbar durch das Gewahrsein eines inneren „Interpretors“ oder auch „Entscheiders“. Bewusstsein wird sich im Erkennen seiner selbst gewahr.
Dem Bewusstsein weiter auf der Spur
Wenn klar geworden ist, dass Handeln selbst das Sein IST, dass es mit unserer Existenz zusammenfällt und das Denken lediglich ein reflexiver Vorgang ist, nähern wir uns der Wirklichkeit an. Nach dem abendländisch-christlichen Verständnis ist der Mensch von Gott in die Welt hineingestellt worden. Im Umkehrschluss ist er also nicht aus ihr hervorgegangen. Dieses stille Axiom wird nicht nur sprachlich sichtbar (z.B. In unserer untrennbaren Subjekt – Prädikat – Objekt- Beziehung), sondern ist zugleich der unbewusste und problematische Ausgangspunkt heutiger Naturwissenschaft. Der Mensch erlebt sich als neutral – beobachtendes Wesen einer von ihm unabhängig existierenden Welt. Tatsächlich aber hat diese Welt ihn hervorgebracht. Das ist aber ein fundamentaler Unterschied. Jedes Detail unserer Wahrnehmungsfähigkeit – angefangen vom Sehen und Hören bis hin zu kognitiven Prozessen der Logik- ist nicht plötzlich dagewesen, um eine vorhandene Welt zu erfassen. All diese Fähigkeiten und Sinne haben sich gemeinsam mit den energetischen und physischen Bedingungen zusammen mit dieser Welt entwickelt. Wir sind vom „Geschehen“ nicht getrennt. Der Regenbogen beispielsweise braucht dreierlei, um zu existieren: eine Lichtquelle, Wassertropfen in der Atmosphäre und – eine Netzhaut. Er existiert also gar nicht „dort draußen“ unabhängig vom Beobachter.
Das soll deutlich machen, dass wir selbst Elemente des Geschehens sind, oder nach Julian Huxley, „nichts anderes als die zum Bewusstsein ihrer selbst gelangte Evolution“. Die Entwicklung des Bewusstseins bis zur gegenwärtigen Stufe ist also emergentes Ergebnis aller Vorbedingungen und folgte dem Lauf der evolutiven Bewegung. Diese „Bewegung“ durch das Geflecht aller Vorbedingungen folgt der „Gravitation“ des Ur-Willens, einem Gefälle, dem alles Zugrunde liegt, was existiert. Dadurch entstanden alle Formen der Existenz, der Materie und auch des Bewusstseins.
Dazu braucht es ein integrales Verständnis der Zeit, welches über das starr – lineare hinausgeht. Entwicklung bedeutet nämlich nicht, dass sich notwendigerweise in konstruktiver Manier die Dinge aufeinander aufbauen. Im geeigneten Umfeld treten die Dinge vollständig auf, sie ereignen sich als Manifestationen einer vorhandenen Potentialität. Die Schwächen der Darwinistischen Theorie können als Indiz dafür angesehen werden. Wasser ist nicht die Bedingung des Fisches und Luft nicht die Bedingung des Vogels, auch nicht umgekehrt. Beides geht gemeinsam. Wir verstehen unser Gehirn nicht als Ergänzung eines Magens zur Verwirklichung von Nahrungsaufnahme, und wir verstehen den Magen nicht als Ergänzung oder Ursache des Gehirns zum Zwecke seiner Versorgung. Kausalitäten funktionieren hier nicht. Die Phänomene gehen zusammen. Die unendlichen Komplexität aller physikalischen und biologischen Systeme lassen keinen anderen Schluss zu.
Das Bewusstsein kann also nicht als Epiphänomen oder Produkt des Gehirns erklärt werden: laut der Evolutionsmaßgabe entwickelt sich alles durch Anpassung an gegebene Bedingungen. Bewusstsein geht aber darüber hinaus. Es existierte entweder vor seiner „Verwendung“ oder es dient keiner solchen. Außerdem sind Eigenschaften, die dem Bewusstsein zugeschrieben werden wie Auswerten, Erinnern, Versuch und Irrtum etc. Fähigkeiten, die die Evolution erst ermöglicht haben und nicht deren Ergebnis sie sind. Geist (und Intelligenz) sind eine Eigenschaft des Kosmos, nicht eines biologischen Gehirns. Diese Eigenschaft erst hat Gehirne hervorgebracht. Bewusstsein geht also über die Funktionsebene hinaus; es ist Bedingung, nicht Produkt. Es gibt keine Erfahrung ohne Bewusstsein. Existenz und Bewusstsein bedingen einander vollständig. Bewusstsein kann sich nicht selbst wahrnehmen, ebenso wenig, wie ein Auge sich selbst sehen kann. Alles in im Kosmos ist Ausdruck eines primordialen Feldes, das wir universelles Bewusstsein nennen können. In diesem Werden erschafft es durch immer differenziertere Vereinzelung (Individuation) subjektive Erfahrung, ein “Innen” und einen Sinn. Das Ergebnis nennen wir “Erfahrung”, eine Qualität, die nebenbei gesagt, eine künstlich geschaffene Intelligenz nie erreichen kann – eben weil sie künstlich und damit kein Bewusstseinsträger ist. Die Existenz des Künstlichen ist der (ontologische?) Beweis für die Existenz des Nicht- künstlichen, eben des “Göttlichen”.
Bewusstsein ist Gegenwart, Gegenwart ist Bewusstsein. Gegenwart ist Ewigkeit.
Alles Materielle ist „durchzogen“ und durchpulst vom Geistigen in dessen formgebenden und erkennenden Eigenschaften. Auch im rein geistigen Bereich durchdringen und überlagern sich unterschiedlichste Qualitäten, Entitäten, Formen und Ströme und erschaffen dabei Neues (dabei verhält sich alles holographisch zueinander: Symbole sind Ausdruck höherer universeller Wirklichkeiten; die Astrologie kann hierfür als Beispiel dienen). Diese Kräfte in Summe bilden den Jetzt- Punkt des völlig- gegenwärtig- Seins. Dabei sind darin Anfang, Weg und Telos (Ziel) enthalten. In diesem Jetzt- Punkt laufen alle diese Bedingungen und konditionierenden Einflüsse zusammen, die Wirklichkeit “gerinnt” aus der Potentialität.
Anfang, Entwicklung und Zukunft waren in der Ur- Erde vor 4 Mrd Jahren bereits enthalten. Nicht zwingend genauso, wie sie verliefen. Aber die „Verästlungen“ der Entwicklung folgten einem bestimmten Pfad. Das reflexive Bewusstsein erkennt diese Vielfalt und schließt daraus auf Wahlmöglichkeiten und damit auf Freiheit. Diese kann es aber unabhängig von diesem selbst erschaffenden Prozess natürlich nicht geben. Da sich der Prozess aber jeden Augenblick neu erschafft (und dabei den eigenen Systemregeln folgt, wie oben angedeutet), kann durch die Ausrichtung des Bewusstseins die Richtung durchaus gewählt werden. Diese Wahl hat wenig Ähnlichkeit mit dem Begriff in unserer Alltagserfahrung. Es ist ein sich – manifestieren des Potentials.
Potentialität ist zunächst ungeformte Existenz. Der Begriff der Information kann hilfreich sein: Jede Gestalt , Form, Funktion oder Dimension ist zuerst Information. Die InFORMmation verleiht der Existenz ihre Gestalt. Wo befindet sich die Information? Beim Versuch, sie räumlich zu verorten, kommen wir schnell an die Grenzen unserer Denkgewohnheit. Dennoch funktioniert der Begriff des Potentials synonym mit dem Quantenfeld gut, natürlich kann er gleichgesetzt werden mit dem Bewusstseinsfeld oder “Alles – was Ist”. Die Information alleine ist nicht existent, denn erst in Beziehung kann sie in Erscheinung treten. Die Beziehung ist die “Grammatik”, durch die das “Vokabular” der Information strukturiert wird.
Die Bedeutung des JETZT
Im Jetzt, im Gegenwartspunkt, kulminiert alles Gewesene, alles Vergangene, alles dort Gedachte und Entfaltete. Dieses Geschehene bestimmt unser Jetzt vollständig. Gleichzeitig und in scheinbarem Widerspruch dazu beherbergt die Gegenwart Freiheit. Wir haben gesehen, dass die Vergangenheit nur in ihrem Hineinwirken in die Gegenwart existiert. Sie existiert als Grundlage und Kulminationspunkt im Jetzt. Damit schafft sie die Bedingungen meiner Existenz und meiner Lebenswirklichkeit aktuell. Erkenne ich diese, kann ich mich davon befreien. Ich klebe nicht mehr nostalgisch, unbewusst oder im Drama an der Vergangenheit, weil sie nur noch in dem Maße existent ist, in dem ich sie mit Aufmerksamkeit versorge oder mich über sie identifiziere. Mein Ego – ich bezieht seine Existenz ausschließlich aus der Vergangenheit, weil seine Ausprägung in der Gegenwart reine Kompensation seiner Erfahrungen in der Vergangenheit ist. Das Ego versucht andauernd, negative Erfahrungen der Enttäuschung, des Zukurzgekommenseins, der Kleinheit oder Minderwertigkeit auszugleichen. Indem ich diese Erfahrungen als Gegebenheiten meiner Biographie bejahe, endet der Kampf gegen mich selbst und die Welt und ich setze Energien im Jetzt frei. Damit verlasse ich die unbewusste Opferrolle aus der Vergangenheit und wechsle in die Schöpferrolle der Gegenwart. Ich erkenne, dass jeder Moment eine totale Neuschöpfung ist. Alles, jedes einzelne Atom und jeder Mensch folgt zu jedem Zeitpunkt vollständig dem durch Bewusstsein geformten Weltwillen. Dieser bedingt sich in Summe selbst.
Wille und Geist
Weltwille kann verstanden werden als Urgrund aller Dinge. Die Frage, warum überhaupt etwas existiert, findet hier ihren Endpunkt. Diese Frage kann nur gestellt werden, weil etwas existiert um diese Frage zu stellen. Und da NICHTS nicht existieren kann, ist sie absurd. Weil Nichts nicht existieren kann, sondern der der Hintergrund dessen, was IST, darstellt, muss das, was IST immer ALLES sein.
Der Weltwille “will” sich selbst – nicht, weil er selbst eine Ursache hätte oder ein Ziel verfolgen würde, denn diese Begriffe sind immer nur in einem relativen Bezugsrahmen sinnvoll.
Postulieren wir ein rein immaterielles Universum, wäre der Weltwille darin ebenfalls wie in dem tatsächlichen Universum die Kraft, welche den singulären Zustand zu überwinden bestrebt wäre.
Mein individueller Wille ist Widerstand gegen den Weltwillen- andererseits wird der Weltenwille erst durch diesen Widerstand sichtbar. Wenn ich in einem Boot mit der Strömung eines Flusses treibe, bemerke ich deren Kraft nicht- bis ich versuche, es zu stoppen. „Dein Wille geschehe“- das Jesuswort ist die Aufgabe oder Transzendierung des individuellen Willens zugunsten des erkannten Weltwillens, der sich durch mich ausdrücken möchte, der in Erscheinung treten möchte, um WELT zu erschaffen und zu erweitern. Dieses Erkennen gelingt umso mehr, als ich mir der Fesseln meiner Vergangenheit bewusst werde, diese zwar als formend anerkenne, mich aber nicht weiter über sie definiere und mich mit meinem Ego- Ich identifiziere. Damit kommt der Gegenwart als einzige Wirklichkeit eine entscheidende Rolle zu: Wenn ICH Ausdruck der kreativen Schöpfung selbst bin, dann kann ich das nur JETZT. Darin liegt meine Würde, denn ich werde zur Quelle meiner Zukunft. Ich “erlöse” mich selbst durch Bewusstwerdung von meiner Vergangenheit, die mich bedingt und einschränkt. Warten erübrigt sich, denn Warten bedeutet, die Verantwortung abzugeben. Verantwortung ist nur in der Gegenwart möglich. Dann wird die Gegenwart vollständig, sie ist kein Mangelzustand einer erwarteten Zukunft. So könnte man Freiheit als verantwortungsvolle und zugewandte Haltung der Gegenwart gegenüber definieren, womit sie zum Synonym für den Begriff der Liebe wird. Sie ist in der Lage, die Vollständigkeit jedes gegenwärtigen Zeitpunktes zu erkennen und von hier aus bewusst zwischen den beiden Grundqualitäten (Liebe und Angst) reflektiert zu unterscheiden.
Wir könnten also konstatieren, dass Freiheit und Determiniertheit lediglich unterschiedliche Perspektiven desselben Vorgangs beschreiben. Die Zukunft, von der Gegenwart aus betrachtet, scheint offen. Sie ist aber determiniert durch die Bedingungen der Gegenwart; dennoch „konkurrieren“ wahrscheinliche Szenarien mit weniger wahrscheinlichen. Doch schon in dieser Beobachtung steckt „Freiheit“. Aus der Perspektive in die Vergangenheit, also der „geschehenen Zukunft“ wird deutlich, dass sich immer nur ein einziges Szenario hatte bilden und verwirklichen können, welches „determiniert“ war. Es war die Sichtbar – werdung dessen, was IST, die Summe aller gegebenen Umstände und Wirklichkeiten.
Potentialität und Richtung
Meine Wahlmöglichkeiten bewegen sich also einerseits im Spektrum meiner Vorbedingungen und andererseits in meinem Bewusstwerden oder dem Grad meiner Bewusstheit. Die Vorbedingungen sind auf seltsame Art Zukunft: das Zukünftige ist nie völlig offen, ansonsten wäre die Welt nicht stabil. Die Zukunft generiert sich ja fortlaufend aus den Vorbedingungen, um sich dann selbst in Solche zu verwandeln. Die Zukunft ist in der Gegenwart also anwesend: ich selbst bin JETZT derjenige, der in der Vergangenheit angelegt war. Ich bin eingetretene Zukunft. Meine Freiheit ist strikt begrenzt. Ich erkenne Freiheit, in Wirklichkeit aber erkenne ich lediglich mein Potential, meine angelegten Möglichkeiten. Ich kann nicht werden, was immer ich will. Dadurch wird mehrfaches deutlich: unser Gefühl, frei zu sein, speist sich aus dem Wissen unserer Entwicklungsmöglichkeiten, unserer Anlagen und unseres Potentials, welches sich synchron zur Zeitqualität (also dem speziellen Zeitpunkt im Ablauf aller aktuelle Ereignisse im Kosmos) öffnen kann, wo Zugang vorhanden ist.
Ein Beispiel aus der Botanik: Im Samenkorn ist die ganze Pflanze enthalten. Die Zukunft (Entfaltung) der ganzen Pflanze ist im Samenkorn in der Gegenwart „anwesend“. Die Zukunft, das Ziel (Telos) bestimmt jeden gegenwärtigen Moment der Pflanze. Niemals kann die Pflanze ihre eigene Entwicklung überholen oder verändern. Auch ist sie eingebunden oder abhängig von allen Umgebungsbedingungen. Zum anderen wird deutlich, dass jedes Individuum (Lat. „nicht weiter teilbar“) einzigartiger Ausdruck des Ganzen ist. Das Schöpferische findet Ausdruck im „in Besitznehmen“ dieses Potentials im Kontext seiner Um – und Mitwelt. Vergangenheit und Zukunft fallen im Jetzt zusammen, das Jetzt ist der „Kollaps“ aller Potentialität in eine (wahrscheinliche) Realität. Vergangenheit und Zukunft sind keine von der Gegenwart zu trennenden Dimensionen. Die Vergangenheit wirkt „sichtbar“, weil der Kollaps bereits stattgefunden hat. Die Zukunft ist aber nicht weniger real. Sie ist bereits, nur ist sie noch nicht in Erscheinung getreten. Wenn ich Musik höre (je komplexer, umso deutlicher ist dieser Effekt festzumachen), höre ich Vergangenheit UND Zukunft: erst im Kontext dieser Dimensionen ist Musik erst möglich. Nur der einzelne Ton der Gegenwart ist sinnlos. Wir „wissen“, was kommt, wir hören in den nächsten Ton hinein. Die Zukunft vervollständigt andauernd die Gegenwart, komplettiert sie. Ihre Anwesenheit schafft Zeiterfahrung und damit die Erfahrung einer Richtung.
Sein ist also determiniert, Wille ist frei- zumindest innerhalb seiner Möglichkeiten. Und wo es Möglichkeiten gibt, gibt es Freiheit. Auch wenn diese Möglichkeiten nur als Potential bestehen, so bestehen sie doch. Daher muss einschränkend gesagt werden, dass der freie Wille auf eine subjektive Ebene der Wahrnehmung beschränkt ist. Er verhilft uns zu einem schöpferischen Bewusstsein, weil wir dadurch im Stande sind, zu vergleichen und zu relativieren. Doch wir selbst sind dieser Prozess, wir stehen nicht davor wie ein Kind vor der Autorennbahn und entscheiden. Das, was wir „Entscheidungen“ nennen, ist Manifestation und Ausdruck des Weltwillens, der sich im speziellen Kontext der Gegenwart konkretisiert. Im Gefühl der Freiheit ermöglichen wir uns – also dem Weltwillen – sich seiner Selbst beobachtend bewusst zu werden. Diese Freiheit erlaubt eine Beurteilung und Bewertung der Schöpfung.
Freiheit im wirklichen Sinne muss daher verstanden werden als die Summe aller Möglichkeiten, aller Wirklichkeiten, die aus der Potentialität in die Realität „kollabieren“ können, also sich ereignen können. Ich muss mich selbst aber wieder in die Kalkulation einbringen: ich selbst bin dieses „sich ereignen“.
Damit würde jede Beschwerde über diese Welt und darüber, wie sie ist, enden. Wer sich beschwert, hat das Große und Ganze nicht verstanden. Denn alles, was geschieht, ist die Summe aller Einzelaufmerksamkeiten und Einzelwirklichkeiten. Es ist die logische und speziell – sinnhafte Verwirklichung aller gegenwärtig herrschenden Kräfte. Ihr Sinn ist es, eine fühlbare Wirklichkeit zu erzeugen, also die emotionale Seins – dimension zu erschaffen, denn Emotion und Gefühl können nur und ausschließlich als Reaktion existieren. Reaktionen aber kann es nur geben, wo es ein Außen und ein Innen gibt – und nur dadurch kann die Illusion von Freiheit als Handlungsursache erschaffen werden. Sie ist aber keine Ursache im kausalen Sinn. Sie ist der Fokus aus dem „Allen was IST“.
Die Frage nach dem „freien Willen“ kann tatsächlich nur vom Ego – Ich gestellt werden, welches sich in der Illusion seiner Identifikation mit seinen Erfahrungen befindet. Das wahre Ich (oder Selbst) erkennt den Umstand, dass sich das Ego als Werkzeug des Geistes mit all seinen Erfahrungen identifiziert hat. Das ist der Grund, warum es naturgemäß nicht frei sein kann. Das ICH (Selbst) erlebt hingegen alle Zustände im Fluss des kosmischen Wandels und erkennt die Natur aller Phänomene als vergänglich. Dort gibt es den Willen niemals gegen etwas, da alles harmonisch Teil der Schöpfung ist. Auch erkennt es, dass die Individuation eine Trennung simuliert, die es gar nicht geben kann. Es existiert nur eine „Matrix“, die dazu dient, alle Phänomene zu erzeugen, einschließlich mir selbst. Deshalb muss das Ego – Ich zwangsläufig mit der Welt kollidieren: es ist vom EINEN das ANDERE geworden. Die Erfindung des „Nein“ als Symbol der Bewusstwerdung ist sein zentrales Merkmal.
Gelingt es mir, Ego-Ich vom ICH (Selbst) zu unterscheiden, den Willen zu verstehen sowie Getrenntsein und Identifiziert-sein als Illusion zu durchschauen, löst sich der Widerspruch zwischen freiem und determiniertem Willen auf. Ich ergebe mich dann in das Sein, welches mich durchströmt. Ich selbst bin das Ereignis des Seins und nehme eine ganz spezifische Perspektive ein. Gleichzeitig weiß ich, dass ich selbst, genauso wie ich bin, Ausdruck göttlicher Schöpferkraft und Facette göttlichen Seins bin. Ich bin Träger des evolvierenden Bewusstseins, das jenseits aller Begriffe wie Kausalität und Endlichkeit existiert. Ich weiß, dass meine Wahrnehmung als Mensch die Grenze meiner Welt bildet und damit gleichzeitig Welt erst sichtbar und erfahrbar macht, da eine grenzenlose Welt nicht relativierbar und daher nicht erfahrbar ist, ebenso wenig wie ein Strahl weißen Lichts in einem weiß ausgeleuchteten Raum erfahrbar ist.
Dennoch weiß ich, dass ich nicht in dieser Begrenzung zuhause bin. Ich weiß, dass ich selbst auch Schöpfer bin und in dieser Freiheit meine Würde liegt. Ich sehe in der Welt, die mich umgibt, auch mich selbst, denn sie ist auch meine Schöpfung. Auf der Ebene der menschlichen Wirklichkeit ist Freiheit eine erlebbare Realität. Der Mensch ist Ausdruck des einen kosmischen Bewusstseins, welches andauernd schöpferisch verwirklicht. Ohne unseren Begriff von Freiheit wäre alle Vorstellung von Ethik sinnlos. Wir “wählen” innerhalb dieser Realität.
Auf “höherer” Ebene existiert diese Freiheit nicht mehr; sie hört auf zu sein, was sie schien. Dort gibt es Dynamiken, die im schöpferischen Prozess ein eigenes Regelwerk darstellen, welches sich immer in einem harmonischen Ausgleich befindet. Der Fokus und die Perspektive bestimmen dabei, welche Wirklichkeit vom wahrnehmenden Bewusstsein als real wahrgenommen wird.