Wer oder was ist Gott?
Wagen wir uns an diese große Frage! Es kostet nur einige Minuten…
Schon von jeher wohnt uns Menschen eine Sehnsucht inne, die Ursache seiner Existenz zu verstehen, zu erfassen und irgendwie Form zu geben. Natütlich haben wir die Sache der Einfachheit halber umgedreht und behauptet, dass sich Gott seinerseits uns Menschen geoffenbart hat; das lasse ich jetzt aber mal beiseite. Da die Menschen entsprechend ihrer jeweiligen Kultur die unterschiedlichsten Vorstellungen von Gott haben, gehen wir davon aus, dass diese Vorstellungen eher eine Projektion der Menschen statt eine Selbstoffenbarung des Höchsten sind.
Damit wird schon etwas wichtiges klar: als Menschen können wir Gott nur in menschlichen Begriffen denken und vorstellen. Damit könnte man alle weiterführenden Aussagen lassen. Wie kann man über etwas Aussagen treffen, was über unseren eigenen Erkenntnisfähigkeit liegt?
Wir stellen uns Gott als Inhaber der unmöglichen Perspektive vor, die der Belletristik- Leser einnimmt: er erfährt alle Zustände sämtlicher Protagonisten, und das Gleichzeitig. „Ich“ ist dann die Perspektive, die beliebig gewechselt werden kann- und Gott kann durch seine Allmacht auch ein paar Kapitel des Buches, welches er selbst verfasst hat und in dem alles enthalten ist, überspringen.
Gott ist demnach nie mehr als die von uns zugeschriebene Personifizierung von Merkmalen und Eigenschaften, die wir wahrnehmen oder messen können und die wir als Summe aller optimalen Zustände imaginieren. Darin ist Gott das jeweilige Bild der wahrnehmenden Individuen, hier und woanders, gebunden an deren jeweilige Kognitionsleistung und Denkgewohnheit. Wie können wir uns von einer solchen Gottesvorstellung lösen, die beim genaueren Hinsehen naiven oder ideologisch ist?
Vielleicht, indem wir den Maßstab umdrehen und den Menschen göttlich denken.
Dazu müssten wir uns von unseren gewohnten Vorstellungen und Denkrahmen entfernen: viele davon sind Gewohnheit, keine Wahrheit. Ein Irrtum wäre z.B. die Vorstellung, alles habe ein Ziel. Das ist aber eine rein menschliche Vorstellung. Wieso? Gott ist das Prinzip der Ursachenlosigkeit, das muss er sein. Unsere menschliche Wahrnehmung der Welt in kausalen Sinnzusammenhängen erzeugt den Eindruck, alles habe eine Ursache. Das ist aber eine Illusion unserer Wahrnehmung: Eine Blumenwiese ist nicht die Ursache für Bienen, und auch nicht umgekehrt. Alles ist eine Erscheinung des selben großen Organismusses.
Der Kosmos – oder Gott- hat keine Ursache. Anfang und Ende sind gegenteilige Eigenschaften des Kosmos bzw. Gottes. Wenn etwas (wie Gott) aber keinen Anfang hat, kann es auch kein Ziel haben, denn es hat auch kein Ende. Wo kein Ende, da kein Ziel. Zeit als Abfolge von Ereignissen lässt die Illusion von Anfangs- und Endpunkten entstehen, die in Wirklichkeit immer nur Übergänge sind. Der Mensch ist eine bewusste Verkörperung dessen. Die ganze Schöpfung hat kein Ziel, weil ein Ziel immer eine entgültige Vorstellung einschließt. In Gott ist aber ursprünglich alles vorhanden, und genau das nehmen wir auch an, wenn wir von seiner Allmacht sprechen.
Schöpfung ist also vielmehr ein “In-Erscheinung-Treten” dessen, was potentiell bereits in Gott vorhanden ist. Schöpfung ist also ein Ausdruck dessen, was existiert und wir Gott nennen.
Gott ist eine Projektion des Menschen- so wie der Mensch eine fleischgewordene Projektion Gottes ist.
Das will ich etwas vertiefen. Der von uns Menschen angenommene Urzustand Gottes ist absolutes SEIN. Ein solcher Zustand aber schließt Bewusstsein aus: Bewusstsein ist reflexiv, es kann sich also selbst als handelnd in einem Bezugsrahmen wahrnehmen. Dadurch entsteht Tätigkeit, es entstehen Bedürfnisse und es existiert eine Welt als „Gegenüber“. In diesem Bewusstseinsrahmen erst entsteht Denken und Handeln. Das sind aber Merkmale des Relativen, nicht des Absoluten, denn: in jedem Fall beinhalten diese bewussten Vorgänge VERÄNDERUNGEN. Eine Veränderung aber ist eine Bewegung von einem Zustand zu einem Anderen. Genau dadurch erfährt und erkennt Bewusstsein sich selbst. Das Dynamische- also Veränderliche und nicht das Statische ist Merkmal von Bewusstsein.
Absolutes Bewusstsein hingegen ist immer vollständig. Es braucht nichts und verändert sich daher nicht. Um sich selbst erfahren zu können, muss es eine reflexive Bewusstseinsebene erreichen. Es müsste einen Zustand simulieren, in dem es eigentlich nicht ist.
Der Baum der Erkenntnis im Garten Eden bezeichnet symbolhaft das Ende dieser Unbewusstheit und den Durchbruch zur Selbst-Bewusstheit. Dadurch wurde „erkannt“, der Preis dafür war der Verlust der Einheit mit Allem- dem Zustand „Gott“. Unterschiede wurden geschaffen, Trennung entstand- und damit sämtliche Polaritäten, die das Leben ausmachen- und ein Bewusstsein darüber.
Von der Zeit vor dieser „Erkenntnis“ existieren keine Vorstellungen, denn das Absolute schloss das Konkrete und Greifbare aus. Dualität entstand- Gut und Böse entstanden als Kontinuum, als Erfahrungsfeld.
Ein Ton beispielsweise ist eine akustische Erscheinung in der Stille. Er existiert aber nur durch die Wahrnehmung eines Bewusstseins. Das Bewusstsein selbst kann sich nicht als den Ton wahrnehmen, sondern muss ihn als etwas außerhalb seiner Selbst wahrnehmen. Auf diese Art existiert alles, was es gibt. Es braucht die Stille (das scheinbare Nichts) für den Hintergrund und es braucht den Ton. Beides gehört zusammen. Aber erst im trennenden Bewusstsein kann daraus eine Wahrnehmung werden.
Nun schauen wir uns den Menschen als „göttliche Projektion“ an. Dann sind wir „Leinwand“, also Projektionsfläche des Bewusstseins, auf welchem Erfahrung erst entsteht. Der Regenbogen braucht drei Bedingungen, um ein Solcher zu sein: Eine Lichtquelle, Wassertropfen in der Atmosphäre und: eine Netzhaut. Er existiert da draußen, für sich, gar nicht!
Ohne Bewusstsein gibt es keine Existenz. Das Gegenteil zu behaupten wäre ein unbeweisbares Postulat. Ein Ereignis und dessen Wahrnehmung fallen erst im Bewusstsein zusammen. Wie der Regenbogen existiert die Welt erst mit einem Bewusstsein (zur weiteren Beweisführung siehe bitte Podcast zum Thema „Bewusstsein ist wirklich“).
So, wie sich ein Mensch nicht selbst sehen kann und sein „Innen“ (physisch wie seelisch) für ihn völlig im Dunkeln liegt, kann Gott sich seiner selbst ohne das, was wir als seine Schöpfung bezeichnen, auch nicht bewusst sein. Die Schönheit der Welt kann sich ihrer selbst nicht bewusst sein. Das majestätische Tier weiß nichts von dieser Eigenschaft- sie ist rein funktionell und wird erst mit einem höheren Bewusstsein zur Schönheit. Schönheit als Eigenschaft und Wirklichkeit entsteht erst im Menschen. Es braucht also das göttliche Auge im Mensche.
Und was ist im Zentrum des Auges? Schwärze. Im Zentrum ist Dunkelheit. Das verbindet uns alle und weist auf unsere gemeinsame Verbindung zum Unendlichen, zum Unerschaffenen hin. Schöpfung ist eben kein einmaliger Akt eines Gottes in kosmischer Handwerksmanier, sondern eine fortlaufende Entwicklung immer neuerer Möglichkeiten zur Selbsterkenntnis.
Gott und Bewusstsein sind nicht zu trennen.
Gott kann nichts sein, was außerhalb steht, denn dann müsste er sich selbst „in etwas“ befinden. Alle Schöpfung ist zwangsläufig Teil dieser ersten Ursache, die man Gott nennen kann. Gott hat sich in der Schöpfung aus sich „herausgestellt“.
Gott ist der unendliche Prozess selbst oder besser: der Prozess, der sich seiner selbst bewusst wird. Dabei ist es unerheblich, welchen Teil oder welche Facette davon wir jeweils zum Gott erklären. Nur sollte klar sein, dass wir dabei immer etwas aus dem Ganzen herauslösen- es kann nie etwas sein, was über oder außerhalb der Schöpfung selbst steht.
Gott “inkarniert” im Kosmos, in der Schöpfung und im Menschen, der als Inhaber eines reflexiven Bewusstseins die Schnittstelle zwischen der physischen und der immateriellen, also der geistigen Sphäre verkörpert.
Machen wir Gott zur Person, begrenzen wir ihn zwangsläufig und sehen ihn gemäß unserer Begrenztheit. Das ist in Ordnung, denn es ist die Sicht Gottes auf sich selbst. Wie ein Kind in seiner Entwicklung immer wieder amüsante Erklärungen für seine Umwelt findet, findet Gott sich selbst in jedem Sandkorn – wie Bob Dylan es in „every Grain of Sand“ besingt. Wir selbst sind wie alles andere auch eine Verkörperung dieser Selbst- Erkenntnis. In einem sehr hellen Moment traf es der Apostel Paulus auf den Punkt: dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. (Apostelgeschichte 17,27).
Wir müssen nur einige Wunschvorstellungen und Illusionen entsorgen, die wir zwischen uns und die Wirklichkeit gestellt haben, dann wird auch das größere Bild wieder sichtbar.