Eine Verhandlung

Eine Verhandlung

Merkens-Wert

Denkens-Wert

Eine Kurzgeschichte zur Situation.

Der Richter blickte schweigend und mit strengem Blick auf die beiden Männer auf der Anklagebank. Es schien, als wolle er alleine mit diesem Blick alles Geschehene durchdringen. Die beiden Angeklagten, Otto Normalverbraucher und Peter Durchschnittsbürger wirkten, als verstünden sie nicht, wie sie in diese Lage gelangen konnten und ziemlich verloren. Der Anwalt der beiden, ein dicklicher und selbstzufrieden wirkender Mann namens Pflichtnicker schaute müde und gelangweilt drein und schien den beiden keine wirkliche Hoffnung bieten zu wollen oder zu können.

Das Gerichtsgebäude war ein düsterer Bau, dessen Decken sich in ihrer Höhe zu verlieren schienen. Es war, als wäre eine gotische Kirche nach innen gekehrt: Wasserspeier ragten drohend in den Raum, dämonenhafte Fratzen verfolgten die Szene von ihren Plätzen an den Wänden und Säulen.

Die Verhandlung schien kein großes öffentliches Interesse ausgelöst zu haben- nur vereinzelt waren Plätze im weiten Zuhörerraum belegt.

„Erstens: Verantwortungslosigkeit dem Leben gegenüber“ statuierte ein schlanker, gutaussehender Mann mit fast leiser und sanfter Stimme. Er saß links vom Richter und trug eine knallrote Robe. Fast entschuldigend sah er zu den Angeklagten. Dort blickte O. Durchschnittsbürger hilfesuchend zu P. Normalverbraucher, der seinerseits mit seinem Blick jemanden zu suchen schien, der Beistand versprach. Pflichtnicker war inzwischen eingeschlafen. Die beiden Angeklagten mussten wohl ohne Verteidiger klarkommen.

„Zweitens: Verweigerung von Mündigkeit und Selbstbestimmung“ fuhr der Rotgekleidete fort. „drittens: notorische Angepasstheit“ zählte er weiter auf und klang dabei fast einfühlsam. „Viertens: Denkfaulheit, Angst und Informationsresistenz“. Im Blick des Richters lag eine Mischung aus Ungeduld und Überdruss. „Und?“ grollte er mit Blick auf die Anklagebank. Normalverbraucher setzte mutig an: „ich habe getan, was man mir gesagt hat, ich…“ Der Richter hob die Augenbrauen und unterbrach ihn: „Sie bekennen sich schuldig im Sinne des 2. Punktes der Anklage?“ „Nein, nein, ich habe doch die Verantwortung übernommen und ich habe verantwortungsvoll gehandelt, ich habe…“ „…die Forderungen überprüft, die an Sie gestellt wurden?“ ergänzte der Richter.

„Naja, wie sollte ich denn wissen, dass es nicht die Wahrheit war, die man uns erzählt hat…?“ „Sie bekennen sich also indirekt schuldig des 4. Anklagepunktes!?“

Der Rotgekleidete reichte dem Richter ein Papier. Als der Richter davon aufblickte, schaute er noch durchdringender auf die beiden Figuren auf der Anklagebank. „Sie hatten zu jeder Zeit Zugang zu alternativen und kritischen Informationen?“

„Na, jeder wusste doch, dass das nur Sachen für die ewigen Kritiker und Nörgler waren, die kein vernünftiger Mensch je glauben würde, die gibt es doch immer, die…“ „Sie bekennen sich gerade schuldig zum 3. Punkt der Anklage: notorische Angepasstheit!“

Nun meldete sich P. Durchschnittsbürger zaghaft zu Wort: „Aber euer Ehren, woran soll man sich denn halten, wenn nicht an die Fachleute, die öffentlichen Medien, wem soll man den Vertrauen!? Es geht schließlich um unser aller Wohl…“

Der Richter blickte noch etwas strenger. „Ihr habt euch an diejenigen Fachleute gehalten, die am wenigsten euren Frieden gestört haben. Alle anderen habt ihr ausgeschlossen. Gehorsam ist eben keine Mündigkeit!”

Jetzt wehrt sich O. Normalverbraucher fast empört: „Herr Richter, aber so funktioniert doch unsere Gesellschaft! Solidarisch! Man muss sich doch einigen! Da kann man doch nicht jeden Querkopf dulden!“

„Ihr habt nicht nur nicht „geduldet“, ihr habt bekämpft. Weil ihr schon immer gerne bekämpft. Ihr schließt aus, was euch nicht passt. Dann bekämpft ihr einander.“

Normalverbraucher schien, als würde man in einer unbekannten Sprache zu ihm reden. Trotzig erwiderte er fast verständnislos: „Wir haben uns eben den Erfordernissen gebeugt!“

“Die „Erfordernisse“ stellt niemand außer das Gebot der Selbstverantwortung. Deren Ermangelung konnten Sie mir bisher nicht überzeugend widerlegen!“ entgegnete der Richter gleichmütig.

Noch einmal setzte O. Normalverbraucher in einem schwachen Versuch an: „Was hätten wir denn tun sollen…?“

Der Richter schien nun völlig auf seinem Stuhl angekommen zu sein. Er faltete seine Hände in fast pathetischer Geste: „Seit Jahrmillionen entwickelte sich Leben auf eurer Erde, weil es in der Lage war, aufeinander bezogen zu sein. Nichts war ausgeschlossen und nichts wurde bekämpft. Das war die Strategie, die eure Existenz erst überhaupt ermöglicht hat. Symbiose, natürliche Auswahl, bis Bewusstsein eure Stufe erreicht hat: die Stufe des Nein- Sagen- Könnens. Auf dieser Stufe wurdet ihr auch all dessen erst bewusst- oder besser: ihr seid der Prozess, der sich seiner Selbst bewusst wurde. Zumindest besteht darin die Chance dazu. Ihr hättet von nun an mit dem Leben aktiv kooperieren können. Und ihr konntet euch dagegen stellen. Als einzige Spezies mit einem Bewusstsein dieser Art habt ihr die Verantwortung für das Leben selbst bekommen. Das habt ihr nicht erkannt und habt versagt. Schuldig also auch im ersten Punkt der Anklage! Das Urteil lautet…“

Normalverbraucher und P. Durchschnittsbürger blickten sich nicht mehr um, als sie den langen, dunklen Gang hinunter geführt wurden, der in eine sehr ungewisse Zukunft führt.

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